WM-Versagen: Kurzanalyse, die keiner wahrhaben will

Wer gerade brandaktuell in der Presse Kommentare über das WM-Ausscheiden der deutschen Fußball-Nationalmannschaft liest, stolpert häufig darüber, dass Fußball mit Politik verglichen wird. Der offensichtlichste, aber auch oberflächlichste Vergleich, ist Jogi Löws Untergang, der auch Angela Merkels Untergang besiegeln soll. Wenn man aber unter den Teppich schaut, zeigen sich noch mehr Verbindungen.

1994: Effenberg macht den “Effenberg” berühmt

1994 wurde Stefan Effenberg aus dem laufenden WM-Turnier in USA geworfen, weil er sich für die Pfiffe der eigenen Fans mit ausgestrecktem Mittelfinger bedankte. Er musste aus dem Mannschaftslager ausziehen und sich ein Hotel suchen. Sehr peinlich! Und das nur wegen einem Mittelfinger? Nein! Es ging um mehr: es ging um die Dynamik zwischen Mannschaft und Fans, um das Gefüge innerhalb der Mannschaft. Um die Vorbildfunktion für den Nachwuchs und um den Anspruch an Anstand und Benimm, den jede Elterngeneration versucht, ihren Kindern beizubringen. Sicher hätte man argumentieren können: eine Dummheit im Affekt, ein Ausrutscher im Strudel der Emotionen – aber angesichts der Tragweite dieser Geste war an versöhnliche Töne nicht zu denken. Schade für Effenberg, und schade auch für die WM-Mannschaft, die sich mit einem verlorenen Achtelfinale aus dem Wettbewerb verabschieden musste. Ob es die fehlende Qualität eines Stefan Effenberg war, oder die Unruhe, die innerhalb der Mannschaft durch die Affäre entstanden ist, lässt sich im Nachhinein nicht sagen.

Zurück ins Jahr 2018. Das deutsche Nationalteam hat jämmerlich versagt und ist in der Vorrunde als Gruppenletzter aus dem Wettbewerb ausgeschieden. Die Fußballwissenschaftler werden jetzt Überheblichkeit, Bequemlichkeit und ähnliche Charaktereigenschaften als Ursache für das Versagen ausmachen – und am Ende wird Jogi Löw als Alleinschuldiger seinen Hut nehmen. Und: beides ist falsch.

Jogi Löw über die Klinge springen zu lassen, wäre ein Bauernopfer.

Die Truppe, die Jogi Löw für die WM-Endrunde in Russland zusammengestellt hat, war gespickt mit etlichen Hochkarätern, die samt und sonders das Potential hatten, in die Fußstapfen der Weltmeister von 2014 zu treten: Werner, Goretzka, Rüdiger, Brandt, Rudy, Hector, Kimmich, Süle und einige andere, die großteils schon im Confed-Cup heftig gerockt haben. Die saßen aber entweder auf Bank und Tribüne, oder waren auf dem Platz – im Spiel aber völlig verunsichert.

Im Vorfeld der WM hatten die Spieler İlkay Gündoğan und Mesut Özil mit ihrem Türkei-Obermufti-Gruppenbild für einiges Aufsehen gesorgt. In der internationalen Presse wurde diese Aktion heftig diskutiert und mit einigem Stirnrunzeln belegt. Zu Konsequenzen hat all dies indes nicht geführt. Der Bundestrainer hätte die beiden ohne großes Aufsehen in die hinteren Gefilde des Kaders verschieben, oder komplett streichen können. Stattdessen wurde aber herumlaviert – womit eine erste Gemeinsamkeit mit Merkel’scher Politik demonstriert wurde. Dies hat die Presselandschaft allerdings bereits mehrfach aufgeschnappt und ausführlich besprochen, es muss daher an dieser Stelle nicht ein weiteres Mal diskutiert werden.

Eine wichtige Frage stellt sich für alle Beobachter: warum eigentlich keine Konsequenzen?

Im Mediendschungel wurde auf diese Frage keine Antwort gefunden. Folgerichtig entstanden die verschiedensten Erklärmodelle und Theorien.

Hat Angela Merkel es dem Bundestrainer untersagt, Özil und Gündoğan auszusortieren?

Hat Merkel per SMS den Verbleib der beiden Spieler befohlen? Oder fürchtete Löw sich um Leib und Leben, zumindest aber um die Sauberkeit seiner Häuserwände und die Unversehrtheit seiner Fensterscheiben? Die erste Variante (Achtung: nur eine Verschwörungstheorie!) wäre zu 100 Prozent Frau Merkel anzulasten – und auch die zweite Variante ginge voll auf die Kappe christdemokratischer Laissez-Faire-Politik gegenüber gewaltbereiten Gruppen von Meinungsmachern.

Eine viel wichtigere Frage stellen sich die hoffnungsvollen Nachwuchskicker, nämlich: “what the fuck?”

Es ist ja nicht so, dass junge Fußballer keine Zeitung lesen. In jedem der Köpfe unserer nachrückenden Fußballhelden stellte sich die Frage nach der richtigen und notwendigen Konsequenz im Fahrwasser des ‘Erdogate’-Skandals. Die Ansichten darüber dürften genauso geteilt gewesen sein, wie beim Rest der Welt – genauso übrigens auch, wie die Meinungen über die fußballerischen Qualitäten eines Mesut Özil. Da gibt es die einen, die eine lethargische Spielweise anprangern. Die anderen nennen – die Statistik im Rücken – den Anteil der Tore, an denen Özil beteiligt war. Gleich, wo man steht: die schnell nachgereichte Unverzichtbarkeitserklärung des Bundestrainers im Bezug auf die beiden Spieler sorgte für die im Raum stehende Frage, was man eigentlich tun müsse, um diesen Status zu erhalten.

“Mesut ist alternativlos” -Jogi Löw (probably)

Die Spieler haben auch die Pfiffe aus dem letzten Vorbereitungsspiel in Leverkusen nicht überhört, die bei jedem Ballkontakt Gündoğans durchs Stadion gellten. Sie wissen: die Pfeifenden darf man nicht als unbedeutende Minderheit abtun. Es sind die Fans. Fans sind kein notwendiges Übel, sondern Fans sind es, die den Sport populär machen. Fans sind es, die Fußball für den Nachwuchs attraktiv scheinen lassen. Und Fans sind es, die indirekt die Gehälter der Spieler bezahlen.

All dies wiederum sind Gedanken, die in den Köpfen der Spieler sehr schädlich sind, wenn es darum geht, ein funktionierendes Kollektiv aufzubauen – wie man es bei der WM 2014 erleben konnte.

Nun haben wir also erlebt: es hat nicht funktioniert, es ist schiefgegangen, das Turnier geht ohne Deutschland weiter. Die Akte Özil-und-Gündoğan wird ab Donnerstag oder Freitag noch häufig in der Diskussion darüber auftauchen, genauso wie die Parallelen zwischen dem Untergang und dem Merkelschen Überlebenskampf.

Klar wird sein: Fußball und Politik müssen in Zukunft vollständig voneinander getrennt sein – genau wie bei der Religion. Moment mal: gibt es da nicht diejenigen, die sagen, Fußball IST Religion?

Da haben wir die Antwort

Duh!

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